Der moosige Untergrund schmatzt unter unseren Füßen, er ist schon lange gesättigt mit dem Wasser, das unaufhörlich in dicken Tropfen vom dunkelgrauen Septemberhimmel über Stongfjorden prasselt. Bei jeden Schritt sinken wir tief in den Boden ein, und wir kommen nur langsam den Hang hinauf.
Ich bin mit knapp 30 Norwegern unterwegs hoch in die Berge über der Fjordlandschaft Westnorwegens, und wir haben uns sicher nicht den besten Tag ausgesucht für diese Wanderung.
Allerdings geht es heute auch nicht um einfaches Outdoorvergnügen, wir haben einen Auftrag zu erfüllen: Wir sind auf der Suche nach 150 Schafen, die den Sommer hier oben verbracht haben und jetzt für den den Winter herunter ins Tal getrieben werden müssen.
Die Schafe gehören Jostein Erikstad, einem 62jährigen Landwirt aus Stongfjorden. Eigentlich verdient er sein Geld mit seinen Milchkühen, die Wolle der Schafe wirft nicht wirklich etwas ab. Aber die Schafe haben eine lange Tradition hier in den norwegischen Bergen, die Erikstads treiben ihre Tiere seit Generationen im Frühling hinauf und im September wieder hinab – Jostein ist wahrscheinlich zum 62sten Mal dabei.
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„Papa freut sich seit Wochen auf den Schafabtrieb, für ihn ist es wichtiger als Ostern und Weihnachten zusammen“, erzählt mir Nina Helen, Josteins Tochter. Sie hat mich und einige andere Freunde aus Bergen, wo sie studiert, eingeladen für den Schafabtrieb in ihrem Zuhause. Wie ich wollen sie sich so etwas nicht entgehen lassen.
Niemand weiß, wo die Schafe gerade sind
Außerdem helfen die Nachbarn vom Dorf und andere Freunde der Familie. Die Schafe haben sich in den Sommermonaten auf mehreren Bergen verteilt, niemand weiß, wo sie gerade grasen. Zu viele „Schafjäger“, wie wir uns im Spaß nennen, kann es also gar nicht geben, jede Hand zählt.
Gleich zu Beginn teilt Jostein uns in kleinere Gruppen ein. Jede Gruppe bekommt einen Hang zugeteilt, den sie nach Schaafen absuchen soll. Ich darf mit der Gruppe des Bauern auf „Schafjagd“ gehen, das freut mich: Schließlich bin ich gänzlich unerfahren auf diesem Gebiet, Schafe kenne ich bislang eigentlich nur von den Deichen an der Nordsee. Da kann es bestimmt nicht schaden, einen echten Fachmann an der Seite zu haben.
Jostein kennt zwar einige Lieblingsplätze seiner Schafe, trotzdem soll es eine echte Suche werden: Eine Wiese nach der anderen stapfen wir ab, suchen hinter Felsbrocken, die hier wie hingeworfen in der Landschaft herum liegen, und hinter Ansammlungen von kargen Büschen.
Immer wieder wird der Blick frei auf die Fjordlandschaft mit ihren Schluchten und den zahllosen Inseln, die vor der Küste in der Nordsee liegen. Auch wenn ich schon einmal in dieser Landschaft unterwegs war: der Anblick auf diese schroffe und wilde Natur haut mich auch heute wieder um.
Wilde Fjordlandschaft im Regen
Ich merke fast nicht, dass ich trotz Regenjacke und -hose schon fast vollständig durchnässt bin, kalt müsste mir eigentlich auch sein – doch ich bin zu gefesselt von dieser rauen Landschaft.
Ähnlich scheint es auch Jostein Erikstad zu gehen: Der kräftige Bauer scherzt die ganze Zeit und albert herum, der Regen tropft ihm ohne Pause von seiner Kapuze ins Gesicht und er scheint es nicht einmal zu bemerken, zumindest stört es ihn nicht im Geringsten.
Nur die Schaafe finden wir nicht. Jostein holt jetzt immer wieder sein Handy aus seiner Regenhose und telefoniert die anderen Gruppen durch – es gibt gute Nachrichten: Die anderen sind erfolgreicher als wir und sind bereits auf einen Großteil der Herde gestoßen.
Mit dem Smartphone auf Schafjagd
Der Bauer beschreibt den anderen Schafjägern, wo wir uns jetzt genau befinden und gibt klare Anweisungen: alle Tiere sollen in unsere Richtung getrieben werden, damit sich die Herde hier wieder vereinigt. Für uns heißt das erstmal: Warten. Da wir eh schon völlig durch genässt sind, setzten wir uns in das feuchte Gras, machen erstmal eine Rast, essen Schokolade und genießen den Anblick der grauen Fjorde und der dunklen Nordsee im Westen.
Es dauert nicht lange, da erkennen wir die ersten weißen Punkte auf den Nachbarhängen, irgendwann kommen von überall kleine Herden auf uns zu. Zeit für uns, aufzustehen: Wir verteilen uns auf unserem Hang und bilden eine Kette von unten bis oben, damit sich die Schafe hier nicht wieder verteilen können.
Für mich und die Gruppe um Jostein beginnt erst jetzt die richtige Arbeit: es sind noch einige Kilometer bis zu der Sammelstelle, von der wieder richtige Wege hinab ins Tal führen. Bis dahin ist es unser Job, die Tiere am Ausbüxen zu hindern.
Dafür gibt es nur eine Technik: wir Menschen müssen ihnen jeden Fluchtweg abschneiden, sie soweit umzingeln, dass es für sie nur einen Weg gibt, zu „entkommen“ – in die Richtung, in die wir sie haben wollen. Immer wieder brechen kleinere Gruppen aus und müssen wieder eingefangen werden. Die Tiere sind die Sprints in dem tiefen Boden gewohnt und scheinen ihren Spaß daran haben, uns Menschen zu ärgern – immer wieder legt sich einer von uns auf die Nase, auch ich bin am Ende von Kopf bis Fuß mit Matsch bedeckt.
Irgendwann am späten Nachmittag ist es trotzdem soweit und die Herde ist am Sammelplatz. Ein Forstweg schlängelt sich von dort den Berg hinab und lässt den Schafen keine Fluchtmöglichkeit. Eine halbe Stunde dauert es, bis wir sie auf den Hof getrieben haben, der für das nächste halbe Jahr ihr Zuhause sein wird.
Die Schafe scheinen nicht wirklich begeistert zu sein über ihre neue Situation, wir Menschen dagegen sind zwar ziemlich müde, aber auch sehr glücklich, unsere Mission erfüllt zu haben. Nur von Jostein Erikstads Gesicht ist sein Lächeln gewichen – wahrscheinlich wird ihm gerade bewusst, dass es jetzt wieder bis zum nächsten Herbst dauern wird, bis zum nächsten Schafabtrieb in den Bergen von Stongfjorden.
Hättest du auch mal Lust auf so ein Abenteuer? Hast du schon einmal so etwas ähnliches erlebt? Oder würde dir der Dauerregen nur auf den Sack gehen? Ich freue mich auf deinen Kommentar!
Danke für die schöne Geschichte, ich war vor 5 Jahren in Norwegen ganz im Norden oben und die Natur und das Klima ist echt der Hammer Ich bin damals mit Schneeschuhen die Berge hochgestampft ;-).Kann ich voll verstehen das du Norge magst 😉
Ich habe keine Schafe gesucht 😉 aber habe auch auf Fjorde von oben geschaut.Wirklich einzigarig toll dort.Freu mich auf deinen nächsten Bericht von Norwegen.Die Bilder waren auch sehr schön.lg
Das ist ja wie Ostereier suchen, nur mit Schafen ;). Bei Sonnenschein hätt ich ja auch Lust , hört sich echt begeistert an…. aber bei so viel Regen bin ich doch wohl eher ein Weichei… 😉 Jedenfalls super Artikel!
Lg
Nicole
Hi Timo, ja ich bin auf einer Kuh geritten. Ist aber eher schmerzhaft (wahrscheinlich auch für die Kuh) als spannend. Pack auf Deine To Do Liste auch ein Kissen dazu!
Das ist ja mal echt ein Insidertipp – ist notiert, danke!
Sehr gut! Ich war ja auch dabei.
Hoffentlich sehen wir uns nächstes Jahr wieder – in Stongfjorden!
Hallo Timo, wow, tja etwas ähnliches habe ich leider nicht erlebt aber ich habe bei einem Kuhtrieb mitgemacht, hoch zu Ross und hoch zu Kuh. War vielleicht nicht sooo spannend aber trotzdem ein schönes und witziges Erlebnis. Der Dauerregen würde mich persönlich nicht stören, aber ich bin mir sicher, dass die Aussicht NOCH toller mit klarem Wetter sein könnte. Wieder einmal wunderbare Fotos und ein sehr schöner Bericht Timo!
Anika, du bist auf einer Kuh geritten?!? Also, wenn das nicht spannend ist – das kommt auf meine To-Do-Liste!
Klingt eher mühsam, aufwendig und hm, unvernünftig: Wenn er mit der Schafwolle eh keinen Gewinn mehr erzielt, kann er den Schafen doch die Freiheit schenken, oder?
Hallo Regina, danke für deinen Kommentar! Naja, das ganze wirs da wher als lieb gewonnene Tradition gesehen. Den Schafen die Freiheit zi schenken wäre von kurzer Dauer: den Winter dort oben würden die Tiere nicht überleben. Aber Recht hast du: mühsam war es, und Vernumft war noch nie meine Sache! Also mir war es ein Vergnügen!
liebe Grüße!